Waldverbändepapier Rehwildbejagung April 2021
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Thüringer Landtages,
Sie alle sind hinreichend vertraut mit der Thematlk der aktuell katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels auf unseren Wald in Thüringen, verbunden mit einer massiven Borkenkäferkalamität in den Fichten- bzw. Nadelwäldern aber auch bislang nicht bekannten Absterbeerscheinungen in den Buchenwäldern (Nord-)Thüringens.
Unser gemeinsames Ziel ist der Aufbau artenreicher Mischwälder statt Reinbestände aus Fichte, Kiefer oder Buche. Solche gemischten und strukturierten Wälder stellen nach aktuellem Kenntnisstand die beste Risikovorsorge dar. Die Wiederbewaldung der seit 2018 entstandenen Kahlflächen mittels Naturverjüngung und Pflanzung sowie die notwendige Forcierung des Waldumbaus der noch immer zahlreich vorhandenen Fichtenreinbestände sind eine Mammutaufgabe für die Thüringer Waldeigentümer, Forstleute und alle anderen im Wald Tätigen Die umfangreiche finanzielle Unterstützung durch den Freistaat Thüringen für diese Aufgaben ist anspruchsvoll und lobenswert.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der gesetzlich verpflichteten Wiederbewaldung und des notwendigen Waldumbaus ist ein angepasster Wildbestand. lnsbesondere das Rehwild, welches die Knospen der (jeweils für sie seltenen) Baumarten verbeißt, sorgt landesweit für die Entmischung von Naturverjüngungen und für das Nichtgelingen ganzer Wiederaufforstungen.
Nun gilt es, diese Herausforderungen anzunehmen und die Aufgaben umzusetzen. Wir befürworten und fordern daher eine Jagdzeit auf Rehwild im April! Der Klimawandel sorgt für einen früheren Blattaustrieb der Wald- und Gehölzpflanzen. Diese sind damit auch wie im Mai 2020 einem erhöhten Spätfrostrisiko ausgesetzt sind. Mit Beginn der üblichen Jagdzeit auf Rehwild (Böcke und Schmalrehe am 1. Mai sind diese auf den gefährdeten Flächen daher oft kaum noch sichtbar und für den Jäger schlechter anzusprechen (sehen, erkennen, und über eine Erlegungsmöglichkeit entscheiden). Gerade zu Ende der Vegetationsruhe und Beginn des Blattaustriebs sind Rehe sehr aktiv auf Nahrungssuche und der dann stattfindende Verbiss gefährdet das Wachstum der jungen Bäumchen.
Schon beginnend im Jahr 2019 und danach auch 2020 wurden vielfach Einzelanträge für die Bejagung von Rehwild auf Schadflächen ab dem 1. April beiden Unteren Jagdbehörden gestellt, um die zwingend notwendigen Wiederbewaldungen und den Waldumbau nicht zu gefährden. Diese aufwändigen und bürokratischen Antrags- und Einzelgenehmigungsverfahren mit detaillierter Darstellung der Schadflächen, oft mit Flächenbegang und mit Verwaltungskosten von bis zu 100 € pro Einzelantrag verbunden, strapazierten die Nerven der Antragsteller und die Zeit der Behörden. Waldeigentümer und Forstleute haben momentan genügend andere forstliche Aufgaben zu bewältigen. Und leider wurden diese Anträge auch nur teilweise genehmigt. Zahlreiche Bundesländer, wie z.B. Brandenburg, Hessen oder Niedersachsen haben die Vorverlegung der Jagdzeit auf Rehwild (Böcke und Schmalrehe) auf dem Verordnungswege und damit generell geregelt. Teils wurden Landkreise auch ermächtigt, die Jagdzeit per Allgemeinverfügung für den gesa mten Landkreis vorzuverlegen.
Daher begrüßen wir es, dass mit Datum vom 10.02.202L das TMIL einen Entwurf für eine Thüringer Verordnung zur Verkürzung der Schonzeit für Böcke und Schmalrehe zur Anhörung versandt hat. Jedoch sind in Thüringen Verordnungen zu Anderungen von Jagdzeiten mit dem zuständigen Ausschuss des Thüringer Landtages abzustimmen. Daher wenden wir uns mit unserem Anliegen an Sie, in der festen Überzeugung, dass Sie unsere Argumente teilen und der Verkürzung der Schonzeit zustimmen werden. Damit würden Sie den Weg für eine generelle Vorverlegung der Jagdzeit auf Rehböcke und Schmalrehe auf den 01. April frei machen. Diese Vorverlegung sollte nicht nur bis zur
Sicherung der Wiederbewaldung der in den Jahren 2018 bis 2020 entstandenen Kahlflächen festgeschrieben werden (wie im Verordnungsentwurf vorgesehen), sondern dauerhaft gelten, da der Klimawandel schon nachweisbar zu einem vorgezogenen Frühjahr geführt hat und sich dies in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird.
Mit dieser Maßnahme wird ein Beitrag zur Sicherung der millionenschweren lnvestitionen in Wiederbewaldung und Waldumbau geleistet. Und, diese wesentliche Maßnahme kostet nichts. Allein mit Geld = Millionen von Euros kann man noch keinen neuen Wald herstellen. Um die Zukunftsfähigkeit der Thüringer Wälder zu sichern, müssen „alle Register gezogen“ werden. Sehr gern stehen die Unterzeichner für ein erläuterndes Gespräch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Ein neuer Gesellschaftsvertrag für den Wald ist notwendig
Die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft e.V., Landesgruppe Thüringen (ANW Thüringen) legt hiermit ein Positionspapier zur umfassenden Gewährleistung und Erfüllung der vielfältigen gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald sowie zu Erhalt, Pflege und Bewirtschaftung unserer heimischen Wälder vor. Dies umfasst die langfristige Sicherung der vielfältigen Waldfunktionen und Ökosystemdienstleistungen einschließlich der aus Klima- und Umweltschutzgründen sowie aus sozioökonomischen Gründen notwendigen verantwortbaren und nachhaltigen Holznutzung.
Die Einheit von Schutz-, Nutz- und Sozialfunktionen unserer Wälder ist grundlegend neu zu denken und zu entwickeln. Es geht dabei um die Risikovorsorge für unseren Wald und um die Daseinsvorsorge für die heute lebenden Menschen und für die künftigen Generationen unseres Landes.
Der Klimawandel und seine Folgen setzen dem Wald in seinem momentanen Zustand in nicht gekannten Dimensionen zu. Die Jahre 2018 und 2019 offenbaren diese Entwicklungen unverkennbar. Die Gefahren durch Stürme, Trockenperioden, die massenhaften Entwicklungen von Schadorganismen und der Ausfall auch von heimischen Leitbaumarten stellen den bis dato geübten und ermöglichten Umgang mit Wald grundsätzlich in Frage. Unsere Thüringer Wälder geraten zusehends unter Druck, zum Teil über die Grenzen ihrer Regenerationsfähigkeit. Dazu erfährt die Thüringer Forstverwaltung seit Jahrzehnten eine kaum mehr aushaltbare personelle Ausdünnung in der Fläche. Die Überalterung des forstlichen Fachkräftepersonals in den Thüringer Forstrevieren und in der Waldarbeiterschaft setzt sich fort. Der Zusammenfall der abzuwendenden Umweltkatastrophe im Wald mit den zu bewältigenden Aufgaben zur Erhaltung und Förderung stabiler Wälder und zur Sicherung der vielfältigen Waldfunktionen strapaziert die Forstleute Thüringens in einer nunmehr als ungesund zu bezeichnenden Weise.
Die ANW Thüringen gibt mit den nachstehenden Lösungsvorschlägen Denkanstöße für die Entwicklung und Implementierung eines zukunftsweisenden Gesellschaftsvertrages für den Wald. Grundannahme ist die unumgängliche Gemeinwohlverpflichtung des Waldes zum Wohle aller Menschen, sprich die Daseinsvorsorge als Vorrangprinzip.
Gemischte, gestufte, stabile Wälder
Thüringen benötigt dringend den Aufbau gemischter, gestufter und stabiler Wälder, die sich wesentlich besser an sich verändernde Umwelt- und insbesondere dramatisch verändernde Klimaverhältnisse anpassen können. Das Grundverständnis des Waldes als ökologische Einheit und die Organisation seiner Bewirtschaftung über die Selbsterneuerungs- und Selbstregulierungskräfte der Natur vereinen sich im Prinzip des Dauerwaldes. Ein intakter Dauerwald sichert nach unserer Überzeugung und heutigem Wissen bestmöglich alle Waldfunktionen. Dauerwald ist daher das Leitbild der künftigen Waldbehandlung.
Waldverträgliche Wilddichten
Leitziel und Beitrag zum Systemerhalt im Dauerwald ist die natürliche Verjüngung aller Haupt-, Misch- und Nebenbaumarten des Waldes über Ansamung. Eine solche artenreiche Naturverjüngung und deren langfristige Sicherung und Überführung in die nachfolgenden Bestandesphasen als Risikovorsorge erfordern waldverträgliche Wilddichten und eine entsprechende Ausübung der Jagd im Gesamtwald Thüringens.
Strukturerhalt und Pflege des Waldes
Kernelemente des Dauerwaldes sind Strukturerhalt und vorratspflegliche Waldwirtschaft. Im naturgemäßbewirtschafteten Wald werden Bäume grundsätzlich nicht nur nach ökonomischen, sondern auch nach ökologischen und soziokulturellen Funktionen bewertet und behandelt. Künftig gilt ein Verzicht auf Räumungen von Restvorräten und flächige Nutzungen des Oberstandes.
Größtes ökologisches Zukunftsvorhaben Thüringens
Waldumbau im o.g. Sinne ist aktiver Klima- und Naturschutz und stellt das das größte ökologische Flächen- und Zukunftsvorhaben des Freistaates Thüringen dar. Der Waldumbau im Landeswald des Freistaates Thüringen zur Schaffung und langfristigen Entwicklung stabiler, strukturreicher Mischwälder ist eine Generationenaufgabe für den Freistaat. Für direkte Maßnahmen sind mind. 15 Mio. Euro jährlicher Sonderzuwendung aus dem Landeshaushalt für einen ökologischen und klimastabilen Waldumbau – in Anlehnung an die Finanzierung des Waldumbaus im Freistaat Sachsen (10 Tsd. Euro/ha; 1500 ha Waldumbaufläche jährlich inkl. Schadflächenmanagement) – dringend erforderlich. Nur so wird der Freistaat Thüringen seiner gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung und Verantwortung im Landeswald gerecht. Bis zum Jahr 2050 können auf diese Weise aktiv 45.000 Hektar Landeswald (entspricht rund 20% der landeseigenen Wälder) in naturnahe und standortangepasste Wälder umgebaut werden.
Waldumbau im Nichtstaatswald
Neben dem aktiv voranzutreibenden Waldumbau im Landeswald bedarf es darüber hinaus staatlicher Anreize zum Waldumbau für den Nichtstaatswald in Thüringen, zusätzlich zu einer lang- fristigen Sicherung der kostenfreien Beratung des Klein- und Kleinstprivatwaldes. Die Notwendigkeit zum Waldumbau im Nichtstaatswald ist ebenso groß wie im Wald der öffentlichen Hand.
Umweltkompensationsmaßnahmen im Wald
Umweltkompensationsmaßnahmen müssen künftig auch für den ökologischen Waldumbau geöffnet und nutzbar gemacht werden. Das erweitert die Möglichkeitsräume zur zukunfts- gemäßen, klimastabilen Entwicklung der Wälder in Thüringen.
Aktive Waldmehrung
Ein Initiativprogramm zur Waldmehrung (Erstaufforstungen) in Thüringen stärkt, trotz starker Konkurrenz der landwirtschaftlichen Flächennutzung, den Klimaschutz durch die Schaffung weiterer Kohlenstoffsenken im Aufbau neuer Wälder. Umfangreiche Erstaufforstungen durch die öffentliche Hand sind notwendig, beispielsweise in waldarmen Regionen und auf Sanierungsstandorten.
Reorganisation der Forstverwaltung
Thüringen steht vor elementaren Herausforderungen beim Waldumbau, bei der Walderhaltung sowie der Waldmehrung. Diese Aufgaben umfassender Daseinsvorsorge verlangen nach einer Reorganisation der Forstverwaltung, sprich nach einer Verkleinerung der Thüringer Forstreviere, der Schaffung neuer Försterstellen und der Übernahme der bei Thüringen Forst ausgebildeten Fachkräfte. Die Ausbildung des Nachwuchses ist auf allen Ebenen der forstlichen Berufe mindestens zu verdoppeln. Die an die allgemeine Bevölkerungsentwicklung angelehnten Abbaupfade staatlicher Verwaltungen können nicht 1:1 auf eine Flächenverwaltung für die Wälder in Thüringen übertragen werden. Die gesetzlichen Finanzierungseinsparungen bei der Landesforstanstalt sind grundsätzlich infrage zu stellen. Die personelle und finanzielle Ausstattung muss so sein, dass die vielfältigen Aufgaben der Landesforstanstalt für die Gesellschaft auch langfristig erfüllbar sind.
Wald als Lebensarbeitsplatz
Handlungsfähigkeit und Reaktionsgeschick in Bezug auf zunehmende und wechselvolle Herausforderungen im Umgang mit Wald verlangen nach gut ausgebildeten, engagierten und kreativen Forstfachleuten. Im Wettbewerb um künftige Fach- und Führungskräfte bedarf es der weiteren Stärkung der Bildungspartnerschaften in der forstlichen Hochschulausbildung. Ausbildungskooperationen und praxisnahe Waldforschung fördern Austausch und Verständnis zwischen Wissenschaft und Praxis. Insbesondere die Attraktivität der Thüringer Forstverwaltung als Arbeitgeber ist deutlich zu erhöhen. Dazu gehören eine fortschrittliche Ausstattung der Mitarbeiter, die Anhebung vorrangig der unteren Lohngruppen und Besoldungsstufen sowie die schrittweise Aufhebung von Laufbahnbeschränkungen.
Waldforschung
Insbesondere der sich vollziehende Klimawandel führt zu gravierenden, bisher in dieser Form nicht gekannten Veränderungen bei unseren heimischen Baumarten, den Lebensgemeinschaften im Wald und somit in den Wäldern insgesamt. Damit stellt er die Waldbewirtschaftung vor gänzlich neue Herausforderungen. Nur mit einer soliden, auf die regionalen Anforderungen abgestimmten Waldforschung können diese Herausforderungen gemeistert werden. Als Teil der Gemeinwohlverpflichtung für die Forstverwaltung ist eine praxisorientierte und anwendungsbezogene Waldforschung für alle Waldeigentümer eine zentrale Aufgabe. Sie ist insofern zu stärken. Dabei stehen die Fragen der Anpassungsfähigkeit und des Resilienzvermögens heimischer Baumarten, die Möglichkeiten für eine ökologisch sichere Beimischung mit fremdländischen Baumarten und die Verbesserung der Klimaschutzleistung der Wälder im Mittelpunkt. Flankierend gilt es, die Forstpflanzenzüchtung sowie die Forschung im soziokulturellen und gesellschaftlichen Bereich zu intensivieren.
Waldbezogene Umweltbildung
Waldpädagogik ist als waldbezogene Umweltbildung ein wichtiges Lernfeld zum Zukunftsthema Wald und zur Nachhaltigkeit. Die frühzeitige Anbahnung von Lerngelegenheiten, insbesondere bei Kindern und Schülern, kann zur förderlichen Auseinandersetzung mit Wald und seinen wichtigen Aufgaben für die Gesellschaft führen und Abhängigkeiten von den natürlichen Lebensgrundlagen verdeutlichen. Die waldpädagogische Arbeit als Vermittlungsarbeit zwischen Mensch und Natur ist eine bestimmende Aufgabe der Forstverwaltung und als solche inhaltlich und personell zu stärken.
Holzbauoffensive
Wald ist ein Kohlenstoffspeicher und er leistet einen wichtigen Beitrag zur Kompensation der CO2- Emissionen. Auch die bauliche, konstruktive Holzverwendung trägt zu einer langfristigen Kohlenstoffbindung bei – Holznutzung ist neben Waldmehrung, Waldbewirtschaftung und einer generellen Vermeidung von Treibhausgasemissionen eine der effektivsten Maßnahmen zum Klimaschutz. Es bedarf daher einer weitreichenden Holzbauoffensive in Thüringen. Öffentliche Bauvorhaben tragen eine Vorbildfunktion bei der Holzverwendung und können die gesellschaftliche Akzeptanz der Holznutzung stärken.